Die Grundrechtsdemos

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28.05.2020 Falsche Parolen an falschen Verhältnissen

In Pforzheim, Stuttgart und in anderen Orten in Baden-Württemberg finden gerade sogenannte "Grundrechtsdemos" statt. Der Deutscher Gewerkschaftsbund hält die Parolen dieser Demonstrantinnen und Demonstranten für falsch. Dabei wurden wir schon gefragt: Kann von "den" Parolen gesprochen werden, oder sind die Demon­strierenden nicht zu unterschiedlich? Die einen haben Existenzängste durch den Shutdown und kritisieren private Einschränkungen durch Maskenpflicht und Absage von Veranstaltungen. Die anderen zählen direkt die angeblich Schuldigen für den Shutdown auf, wobei alte und älteste Feindbilder neu bedient werden: Von der jüdischen Weltverschwörung über die "Impf-Mafia" und Bill Gates bis hin zur Pharmaindustrie. Sehr unterschiedlich sind die Demonstranten daher bei ihrem Feindbild, gemeinsam haben sie aber die Ablehnung der Maßnahmen.

I. Falsche Parolen...

1. "Der Shutdown soll beendet werden"
Der Shutdown trifft, wenig überraschend, diejenigen besonders hart, die schon im normalen Betrieb die Schwächsten sind: Kurzarbeiter, Soloselbstständige, Beschäftigte im Dienstleistungssektor, Alleinerziehende, Menschen mit Behinderung, Alte, Kranke etc. pp. Die absolute Mehrheit der Bevölkerung in diesem Land sind abhängige Beschäftigte, die mit ihrer Arbeit Miete, Kredite und Lebenshaltungskosten tragen. Schon wenige Wochen des Stillstandes ist für viele ein existenzielles Problem. Die Demonstranten machen nun aus ihrer Abhängigkeit arbeiten zu müssen, ihr Recht auch arbeiten zu dürfen. Sie bestehen darauf, dass niemand es ihnen nehmen darf, für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten. Wo nun der Seuchenschutz den Normalbetrieb stört, vermuten sie böse Absichten und werden kritisch gegen die Begründung der Maßnahmen. Aber gegen was spricht dieser Widerspruch eigentlich: Gegen die Schutzmaßnahmen oder gegen eine Ökonomie, in der man schon nach wenigen Wochen mit vermindertem Lohn Existenzängste haben muss?

2. "So schlimm ist Corona gar nicht"
Aus dieser Position der Abhängigkeit heraus machen die Demonstrantinnen und Demonstranten den Fehler, einfach die andere Seite zu verneinen, frei nach dem Motto: Was nicht sein darf, ist auch nicht. Auf dieses Ergebnis kommen die Demonstrierenden gar nicht, weil sie Virologen sind, sondern sie finden den passenden Virologen (oder HNO-Arzt) der ihnen das sagt, was zu ihrer Position passt: Weil sie arbeiten müssen, so denken sie, kann es nur eine Lüge sein, dass Corona sie daran hindert. Weil die Maßnahmen ihre ökonomische Existenz bedrohen, muss die gesundheitliche Bedrohung wenigstens eine Übertreibung, wenn nicht sogar erfunden sein! So machen die Demonstrierenden den falschen Übergang, die Maßnahmen damit zu kritisieren, dass sie gar nicht nötig wären. Einmal ganz ernst gefragt an die Demonstranten: Könnt ihr wirklich beurteilen, ob sachlich Drosten, Ballweg oder Streeck recht haben, oder geht es bei euch umgekehrt: Ihr haltet die sachlichen Argumente für richtig, die eure politische Position bestärken?

3. Böse Mächte
Dann muss der "wahre Grund" gefunden werden, warum die Maßnahmen eingeführt wurden. Es ist verkehrt, sich zu lange mit den antisemitischen, rechten, linken oder völlig absurden Feindbildern (Echsenmenschen!) aufzuhalten. Gerade weil sich die Demonstranten hier am meisten unterscheiden, fühlen sich die Demonstranten hier auch am wenigsten getroffen, wenn man eine spezifische Verschwörungstheorie kritisiert. Gemeinsam ist den Theorien nämlich gar nicht ihr Inhalt, sondern die Form: Maßnahmen, die sie für sinnlos erklärt haben, weil sie ihnen schaden, sollen erklärt werden, in dem auf geheime Interessen verwiesen wird, die sie dann doch erklären. Praktischer Nebeneffekt dieses "Arguments": Dass es etwas nicht gibt, kann man sowieso nicht beweisen. Beispiel? Beweise mir, dass auf diesem Flugblatt kein unsichtbarer Engel sitzt!

II. ...an falschen Verhältnissen
Dabei braucht es gar keine bösen Mächte oder Geheimbünde um zu erklären, warum die Maßnahmen gleichzeitig zum Schutz und zum Schaden von uns Arbeitnehmerinnen sind:

Einerseits soll die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger als Grundlage der Wirtschaft wirklich geschützt werden. Immerhin sind es die Erwerbstätigen, welche für die Unternehmen den Gewinn produzieren. Damit das weitergehen kann, hat sich die Regierung dazu entschieden, einen kontrollierten Shutdown zu betreiben. Die Gesundheit der Bürger als Grundlage für den Gewinn der Unternehmen wird also erhalten, indem die Wirtschaft - zeitweise - suspendiert wird. Einerseits können die Maßnahmen also nicht radikal genug sein, immerhin geht es um die Gesundheit aller Arbeitskräfte, andererseits können sie gar nicht locker genug sein, weil jede Maßnahme genau der Wirtschaft schadet, die sie schützen soll! Dieser Widerspruch entspringt keinem bösen Geist, sondern dieser Ökonomie!

Der Fehler der Demonstranten besteht darin, dass sie böse Mächte am Werke vermuten, wobei es hier wirklich austauschbar ist, wer als Hintermann oder Strippenzieherin konstruiert wird: Vom antisemitischen Klischee bis zum antikapitalistisch anmutenden "Pharma-Lobbyismus" mag das eine Feindbild gemeiner, rassistischer oder einfach unpassender sein als das andere: Falsch sind sie alle, denn der Widerspruch ist nicht einer zwischen dem "guten" Interesse der "einfachen" Leute und dem "bösen" der Reichen, Mächtigen (und Echsenmenschen), sondern geht mitten durch die Erwerbstätigen selbst: Wir sind ja wirklich als Beschäftigten abhängig gemacht von dem wirtschaftlichen Erfolg der deutschen Wirtschaft.

So argumentieren Unternehmer gerade in der Krise mit genau diesem Widerspruch: Jede Maßnahme gegen die Arbeitnehmer - Erhöhung der täglichen Höchstarbeitszeit, Doppelbelastung von Eltern, selbst Entlassungen - seien eigentlich im Sinne der Arbeitnehmer, weil wir ja vom Erfolg der Wirtschaft abhängig seien. Ein schöner Erfolg, der auf unsere Kosten organisiert wird! Und die falschen Parolen auf den Demos treffen so auf die falschen Verhältnisse, in denen alles vom Profit abhängig gemacht wird.

Der DGB setzt sich gerade in der Krise für eure Interessen als abhängige Beschäftigte ein und kämpft dafür, dass nicht alles der Willkür der Arbeitgeberseite überlassen wird:

Unsere Forderungen

  • Gesundheit ist ein öffentliches Gut. Rückgängigmachung aller Privatisierungen der Krankenhäuser
  • Eltern bei den Kita-Gebühren dauerhaft entlasten!
  • Doppelbelastung von Eltern abmildern!
  • Die Eklatanten Lücken beim Arbeits- und Gesundheitsschutz schließen
  • Tägliche Höchstarbeitszeit auf zehn Stunden begrenzen

Letzte Änderung: 28.05.2020