Internationaler Mindestlohnreport

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21.04.2020 Mindestlöhne: Im EU-Mittel kräftige Zuwächse, in vier Ländern über 10 Euro, Kommission legt europäische Mindestlohninitiative vor

Die Mindestlöhne in den 21 EU-Staaten plus Großbritannien, die über eine gesetzliche Lohnuntergrenze verfügen, sind zuletzt im Mittel kräftig angehoben worden - im Durchschnitt nominal um 6,0 und nach Abzug der Inflation um 4,4 Prozent. Beides sind die zweithöchsten Zuwächse in den vergangenen zwei Jahrzehnten. 18 EU-Staaten haben ihre Mindestlöhne zum Jahresanfang 2020 erhöht, Großbritannien wird das in den kommenden Wochen tun. Das zeigt der neue Mindestlohnbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Der deutsche Mindestlohn ist mit 9,35 Euro pro Stunde weiterhin spürbar niedriger als die Lohnuntergrenzen in den westeuropäischen Euro-Staaten, die alle 9,66 Euro und mehr Stundenlohn vorsehen. In vier Euro-Ländern beträgt der Mindestlohn nun mehr als 10 Euro, in Luxemburg sogar 12,38 Euro. Auch in Großbritannien wird der Mindestlohn ab April deutlich über dem deutschen Niveau liegen.

Die kräftigeren Erhöhungen sind zum Teil Ergebnis von Debatten und einzelnen Regierungs-Initiativen, die in vielen europäischen Ländern darauf abzielen, Mindestlöhne auf ein existenzsicherndes Niveau anzuheben. Die EU-Kommission hat dieses Thema ebenfalls aufgegriffen. Bislang liegen aber nur in zwei EU-Ländern, Frankreich und Portugal, die Mindestlöhne bei mindestens 60 Prozent des mittleren Lohns. Dieses Niveau ist aus Sicht vieler Experten die Untergrenze für ein existenzsicherndes Entgelt. Der EU-Durchschnitt beträgt dagegen laut WSI lediglich knapp 51 Prozent, in Deutschland ist das Niveau mit knapp 46 Prozent noch niedriger und war in den vergangenen Jahren rückläufig.

"2020 könnte in Europa das Jahr des Mindestlohns werden", schreiben die WSI-Tarifexperten Prof. Dr. Thorsten Schulten und Dr. Malte Lübker. "Erstmals hat die Europäische Kommission die Initiative für eine europäische Mindestlohnpolitik ergriffen, um überall in Europa ‚gerechte", das heißt armutsfeste und existenzsichernde Mindestlöhne, durchzusetzen." Die neuen Aktivitäten der Kommission reflektierten die hohe Priorität, die das Thema auskömmliche Löhne, Armutsbekämpfung und sozialer Zusammenhalt in vielen europäischen Ländern habe, betonen die Wissenschaftler. So werde nicht nur in Deutschland über eine substanzielle Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro diskutiert. In Belgien und den Niederlanden plädierten Gewerkschaften und andere gesellschaftliche Akteure für mindestens 14 Euro brutto. In Großbritannien, Spanien und der Slowakei haben sich Regierungen unterschiedlicher Couleur konkret verpflichtet, die Lohnuntergrenze in den kommenden Jahren auf 60 Prozent vom Median- oder Durchschnittslohn in ihrem Land anzuheben. Die konservative Regierung in London strebt sogar an, den Mindestlohn bis 2024 auf zwei Drittel vom Median zu erhöhen und damit die Schwelle zu erreichen, die in der Regel zur Definition des Niedriglohnsektors verwendet wird.

Letzte Änderung: 02.04.2020