Bewertung der Reform des BBiG

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03.11.2019 Der Bundestag hat das Gesetz zur Modernisierung und Stärkung der beruflichen Bildung beschlossen.

Mit dieser Reform des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) soll die Attraktivität der dualen beruflichen Bildung gestärkt werden.

Damit will die Bundesregierung folgende Schwerpunkte setzen: "Die Einführung einer ausbalancierten und unbürokratischen Mindestvergütung für Auszubildende im BBiG, die Stärkung und Weiterentwick-lung der "höherqualifizierenden" Berufsbildung mit transparenten beruflichen Fortbildungsstufen und mit eigenständigen und attraktiven Abschlussbezeichnungen, die Verbesserung der Durchlässigkeit auch innerhalb der beruflichen Bildung und die Optimierung der Rahmenbedingungen des BBiG insbe-sondere für rechtsbeständige und hochwertige Prüfungen sowie für ein attraktives Ehrenamt." Verbesserungen für Auszubildende aber weiterhin Handlungsbedarf

Nach der Reform ist vor der Reform
Das neue BBiG bringt Verbesserungen für Auszubildende und für das Ehrenamt im Prüfungswesen und es wird versucht die berufliche Fortbildung aufzuwerten. Zu wichtigen Themen, beispielsweise die Stär-kung des Ausbildungspersonals oder die Förderung von Qualität von Aus- und Fortbildung, gibt es keine hinreichenden Verbesserungen. Und die Erwartung der Gewerkschaften, endlich die Praxisphasen des dualen Studiums in das BBiG aufzunehmen, wurden nicht erfüllt.

Die IG Metall sieht entsprechend weiterhin Reformbedarf für die berufliche Bildung, deshalb: Nach der Reform ist vor der Reform. Die Enquetekommission Berufliche Bildung in der Digitalen Arbeitswelt arbei-tet bereits an Handlungsempfehlungen und wird voraussichtlich Ende 2021 ihren Bericht vorlegen. Wir werden uns auch im Sinne des Entschließungsantrages im Hauptausschuss des Bundesinstituts für Be-rufsbildung weiter für deutliche Verbesserung hinsichtlich qualitativer und sozialer Standards für die be-rufliche Bildung einsetzen.

Bewertung der Mindestausbildungsvergütung (MiAV)
Die MiAV entfaltet im Bereich der IG Metall kaum Wirkung, da die in Tarifverträgen vereinbarten Ausbil-dungsvergütungen überwiegend oberhalb der MiAV liegen. Positiv ist gleichwohl zu bewerten, dass an-ders als im ursprünglichen Referentenentwurf des BMBF, die MiAV nicht an das Schüler-BaföG gekoppelt wurde. Die nunmehr vorgenommene Koppelung an die durchschnittlichen Ausbildungsvergütungen geht in die richtige Richtung, muss aber in der Wirkung beobachtet werden. Denn zuständige Stellen haben in der Vergangenheit, auch gesetzeswidrig, zu niedrige Vergütungen eingetragen. Zudem sollen die durchschnittlichen Ausbildungsvergütungen der letzten beiden Jahre zugrunde gelegt werden. Beide Faktoren können sich bei der Erhebung zukünftig negativ auswirken. Der Vorschlag der Gewerkschaften, die branchenüblichen, tariflichen Vergütungen als dynamische Berechnungsgrundlage zu nehmen, wurde nicht aufgegriffen.

Positiv ist, dass auf Drängen der IG Metall die BAG-Rechtsprechung hinsichtlich einer angemessenen Ausbildungsvergütung gesetzlich abgesichert wurde. Demnach muss eine angemessene Ausbildungsvergütung mindestens 80 Prozent der branchenüblichen tariflichen Vergütung betragen. Damit wird ver-hindert, dass nicht tarifgebundene Betriebe auf die MiAV zurückfallen.

Die MiAV soll zukünftig auch für außerbetriebliche Ausbildung gelten, das SGB III wird entsprechend an-gepasst.

Duales Studium
Am Widerstand der CDU/CSU ist es gescheitert, die Praxisphasen des dualen Studiums in das BBiG auf-zunehmen. Damit wird es zunächst für die mehr als 100.000 dual Studierenden keine Verbesserungen hinsichtlich der Qualität der betrieblichen Praxisphasen sowie der sozial und arbeitsvertraglichen Bedingungen geben. Ohne die Blockade der Union wäre sicher eine verfassungskonforme Lösung möglich gewesen, die IG Metall hat dafür konkrete Vorschläge gemacht. Dieses Thema bleibt folglich auf der Tagesordnung.

Der Kompromiss der Regierungskoalition sieht nun vor, mit einem gemeinsamen Entschließungsantrag eine wissenschaftliche Untersuchung hinsichtlich des Regelungsbedarfs zum dualen Studium anzustoßen. Diese soll die Basis bilden, um dem Hauptausschuss beim Bundesinstitut für Berufsbildung im Zusammenwirken mit der Kultusministerkonferenz eine Empfehlung zu geeigneten Rahmenbedingungen bis Frühjahr 2022 abzugeben. Dies bietet die Möglichkeit, sich weiter für Verbesserungen dual Studierender einzusetzen. Allerdings war es in der Vergangenheit bereits ein Kraftakt gegen die Blockadehaltung der Arbeitgeber eine Hauptausschussempfehlung zum dualen Studium zu erreichen

Verbesserungen für Auszubildende
Positiv ist zu sehen, dass zukünftig auch volljährige Auszubildende zum Besuch der Berufsschule freigestellt werden und nicht mehr in den Betrieb zurückmüssen. Das ist auch eine Aufwertung für den Lernort Berufsschule. Um sich auf die Abschlussprüfung vorbereiten zu können, wird es nun auch eine bezahlte Freistellung für den letzten Arbeitstag vor einer Prüfung geben. Es bleibt zu beobachten, wie die im Ge-setz vorgesehene Anrechnungsregelung auf die durchschnittliche Ausbildungszeit in der Praxis wirkt.

Auch bei den bereitzustellenden Ausbildungsmitteln gibt es eine Verbesserung. Die Kosten für Lernmittel wie beispielweise Fachliteratur müssen zukünftig vom Ausbildungsbetrieb übernommen werden, allerdings nur die für die betriebliche Ausbildung erforderlichen Ausbildungsmittel. Der Vorschlag der IG Metall, dies für alle Lernorte im Gesetz zu verankern, wurde nicht aufgegriffen.

Wichtige Themen für Auszubildende und für die Qualität der Ausbildung fehlen
Nicht aufgegriffen wurde eine Regelung zur Übernahme von Ausgebildeten, damit diese rechtzeitige Planungssicherheit erhalten und sich orientieren können. Auch Aspekte zur Förderung der Qualität der Ausbildung haben keinen Eingang in das Gesetz gefunden. So hatte die IG Metall vorgeschlagen, die betrieblichen Ausbildungspläne verbindlicher im BBiG zu verankern. Denn oftmals heften Betriebe den Ausbildungsrahmenplan an den Ausbildungsvertrag. Damit ist aber nicht klar, wie die betriebliche Umsetzung gewährleistet wird.

Der Vorschlag eine Ausbildungsstättenverordnung vorzusehen hat ebenfalls keinen Eingang in das BBiG gefunden. Auch hinsichtlich Weiterbildungsansprüchen des Ausbildungspersonals wurden keine Vorschläge aufgenommen.

Prüfungswesen
Positiv ist, die Parität im Prüfungswesen bleibt im Kern erhalten. Weiterhin wird die Transparenz für die Gewerkschaften verbessert und dass Ehrenamt im Prüfungswesen wird mit einem Freistellungsanspruch für Prüfer*innen aufgewertet.

Leider fehlte den Koalitionären jedoch die Kraft, eine bezahlte Freistellung für Prüfer*innen vorzusehen. Die IG Metall hatte eine Freistellungsregelung analog der freiwilligen Feuerwehren vorgeschlagen, wo-nach im Grundsatz das Einkommen fortzuzahlen ist - die Betriebe aber die Möglichkeit haben, die Kosten durch die zuständige Stelle auf Antrag erstattet zu bekommen. Die zuständigen Stellen hätten dies auf alle Betriebe im Kammerhaushalt umlegen können. Das wäre für Prüfer*innen eine deutliche Verbesserung gewesen.
Das neu eingeführte Delegationsverfahren zur Abnahme der Prüfung kann nur im Einvernehmen mit dem Prüfungsausschuss erfolgen. Damit ist der Grundsatz der Parität gewahrt. Allerdings erscheint das Ver-fahren kompliziert, es würden auch noch mehr Prüfende benötigt und es kann in der Umsetzung zu Rechtsunsicherheiten führen. Die Erfahrungen sollen evaluiert werden. Es muss sich zeigen, ob das neue Verfahren praktikabel ist. Eigentlich wollten die zuständigen Stellen mehr Freiheit bei der Prüfungsabnahme, was zu Lasten der Parität und der Beteiligung der Arbeitnehmer*innen gegangen wäre. Dies konnte verhindert werden. Es ist auch positiv, dass die Gewerkschaften zukünftig von den zuständigen Stellen Informationen zu den gebildeten Prüfungsausschüssen bzw. zu den von ihnen vorgeschlagenen Arbeitnehmervertretern erhalten, also ob diese auch tatsächlich berufen wurden. Das verbessert die Transparenz für die Gewerkschaften.

Problematisch ist zu bewerten, dass zukünftig der Prüfungsausschuss bei schriftlichen Antwort-Wahl-Prüfungsaufgaben (Multiple-Choice-Aufgaben) die automatisiert ausgewertet werden, die Ergebnisse der Auswertung zu übernehmen hat. Damit hat der Prüfungsausschuss keine Hoheit mehr über einen Teil des Berufsabschlusses, muss das Prüfungsergebnis aber rechtlich verantworten. Die Bewertung wird bereits bei der Aufgabenerstellung festgelegt, indem die richtigen Antworten genannt werden. Hinzu kommt, dass dieser Aufgabentypus nur eine geringe Reichweite im Hinblick auf das Feststellen von beruflicher Handlungskompetenz hat.

Die IG Metall hatte statt der Prüferdelegation und dem Thema Multiple-Choice-Aufgaben vorgeschlagen, zunächst auf Änderungen zu verzichten und stattdessen die Prüfungen im Hinblick auf das, was geprüft werden soll und wie dies in der Praxis geschieht, in den Blick zu nehmen. Mit dem Diskussionspapier "Duale Kompetenzprüfung" hat der Prüferberaterkreis der IG Metall einen Vorschlag zur Weiterentwicklung der Prüfung gemacht
Berufliche Handlungskompetenz soll demnach in authentischen beruflichen Situationen festgestellt werden, schriftliche Kompetenzfeststellung könne unter bestimmten Voraussetzungen auch ausbildungsbegleitend an den Berufsschulen erfolgen. Damit kann die Abschlussprüfung den eigentlichen Kern, ob eine ausgebildete Fachkraft in der Lage ist beruflich kompetent zu handeln in den Mittelpunkt stellen. Prüfungsausschüsse würden vor allem bei schriftlichen Prüfungen entlastet.

Keine qualitativen Verbesserungen in der Fortbildung
Die berufliche Aufstiegsfortbildung wird zur höherqualifizierenden Berufsbildung und die drei Fortbil-dungsstufen bekommen die neuen Bezeichnungen "Berufsspezialist", "Bachelor Professional" und "Master Professional". Die neuen Begrifflichkeiten bewirken qualitativ nichts. Das zur Begründung her-angezogene Argument, darüber die Gleichwertigkeit beruflicher Fortbildungsabschlüsse gegenüber hochschulischer Bildung hervorzuheben, trägt nicht. Die Gleichwertig von beruflicher und akademischer Bildung entscheidet sich nicht über Titel, sondern ob im Betrieb für berufliche Qualifizierte vergleichbare Entwicklungen bei der Übernahme von Aufgaben, Verantwortung und Bezahlung gegeben sind. Statt auf Titelkosmetik muss mehr Wert auf qualitative Standards für die Fortbildung gelegt werden. Die IG Metall hat vorgeschlagen, wie in der Ausbildung, auch für die Fortbildung Rahmenpläne einzuführen. Wer an Fortbildung interessiert ist, hätte dann endlich qualitative Standards bei seiner Entscheidung für einen Bildungsanbieter und Bildungsanbieter hätten eine gute Orientierung für Bildungsangebote.

Der Titelstreit kann auch den guten Prozess des Austausches zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung im Deutschen Qualifikationsrahmen erheblich belasten oder gar gefährden. Im deutschen Quali-fikationsrahmen haben sich die Bildungsbereiche auf acht Kompetenzniveaus verständigt, denen Bildungsabschlüsse zugeordnet werden. Berufliche Fortbildungsabschlüsse und Bachelor- sowie Masterab-schlüsse sind dort in gleichen Niveaus zugeordnet. Wichtig wäre es den Deutschen Qualifikationsrahmen zu stärken und ihn endlich rechtlich zu verankern.

Letzte Änderung: 29.10.2019