Die Bildungszeit besser machen!

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19.02.2019 Die Evaluation des Bildungszeitgesetzes durch das Wirtschaftsministerium ist abgeschlossen. Die Ergebnisse sollen noch im ersten Quartal 2019 veröffentlicht werden.

Der DGB macht Vorschläge zur Verbesserung des Bildungszeitgesetzes und zieht eine Bilanz der Evaluation, die im Grunde nicht zu verlässlichen Ergebnissen geführt haben kann.

Im Interview mit dgb aktuell erläutert der DGB-Landesvorsitzende, Martin Kunzmann, warum das Bildungszeitgesetz einen so hohen Wert für die Beschäftigten hat und wie es noch weiter verbessert werden sollte.

dgb aktuell: Wie läuft es mit der Bildungszeit? Gibt es Probleme in der Umsetzung?

Martin Kunzmann: Insgesamt läuft es rund. Das Bildungsangebot des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften zur politischen und zur beruflichen Bildung sowie der Ehrenamtsqualifikationen ist breit gefächert. Es wird von den Beschäftigten gut angenommen. Der anfänglich massive Widerstand einiger Arbeitgeber hat sich erledigt. Arbeitsgerichtliche Prozesse wurden ausnahmslos von den Beschäftigten gewonnen.

dgb aktuell: Welche konkreten Angebote machen DGB und Gewerkschaften?

Martin Kunzmann: Wir qualifizieren unsere Kolleginnen und Kollegen in ehrenamtlichen Funktionen, z.B. ehrenamtliche Richterinnen und Richter an den Arbeits- und Sozialgerichten, Mitglieder in Berufsbildungsausschüssen sowie Mitglieder in den Vorständen unserer Stadt- und Kreisverbände. Auch die politische Bildung kommt nicht zu kurz. Flucht und Migration, Europa in der Krise, Rechtspopulismus, Digitalisierung der Arbeitswelt, Mitbestimmung, aber auch berufliche Qualifizierungen sind nur einige der Themen, die wir anbieten.

dgb aktuell: Stehen diese Angebote nur Gewerkschaftsmitgliedern offen?

Martin Kunzmann: Selbstverständlich nicht. Bildungsangebote müssen offen ausgeschrieben werden. Das ist im Bildungszeitgesetz geregelt.

dgb aktuell: Die Landesregierung legt viel Wert darauf, dass das Gesetz einen Beitrag dazu leistet, die Herausforderung der Digitalisierung zu bewältigen. Was bieten der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften hierzu an?

Martin Kunzmann: Die Digitalisierung und auch die Transformation der Automobilindustrie stellen Baden-Württemberg vor große Herausforderungen. Viele Beschäftigte befürchten Arbeitsplatzverluste oder haben Angst, dass sie in der Arbeitswelt nicht Schritt halten können. Insgesamt ist die Digitalisierung aber nicht nur eine technische Frage, sondern eine gesellschaftspolitische. Es geht um Arbeitsplätze und nachhaltige Mobilitätskonzepte, um zukunftsfähige gute Arbeit und innovative Konzepte zur Aus- und Weiterbildung. Auch Fragen des Datenschutzes spielen eine wichtige Rolle. Beschäftigte und ihre Gewerkschaften werden diesen Veränderungsprozess aktiv gestalten. Sei es im Betrieb oder ehrenamtlich, z.B. in Berufsbildungsausschüssen der zuständigen Stellen.
Entsprechende Bildungsangebote im Rahmen der Bildungszeit bieten DGB und Gewerkschaften an. Panikmache gilt nicht - gestalten ist gefragt!

dgb aktuell: Die Landesregierung befürchtet, dass die Betriebe durch die bezahlte Freistellung überfordert sind. Was meinst du?

Martin Kunzmann: Wir schätzen, dass sich jährlich zwischen zwei und drei Prozent der Beschäftigten für eine Bildungszeit freistellen lassen. So wie in anderen Bundesländern auch. Genaue Zahlen gibt es nicht.
Die Betriebe sind durch eine Überforderungsklausel mehr als ausreichend geschützt. Jährlich können nicht mehr als zehn Prozent der Beschäftigten eines Betriebes Bildungszeit nehmen. Außerdem profitieren die Betriebe vielfach von den Kompetenzen und Fähigkeiten, die die Teilnehmenden aus der Bildungszeit in den Betrieb bringen.

dgb aktuell: Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften haben inzwischen mehr als drei Jahre Erfahrung mit dem Gesetz. Was kann verbessert werden?

Martin Kunzmann: Wir wünschen uns u.a. mehr Möglichkeiten für Auszubildende, dual Studierende und Lehrkräfte, die das Gesetz bislang nur eingeschränkt nutzen können. Auch sollte die allgemeine Bildung ausdrücklich ins Gesetz aufgenommen werden.

Die Schutzklauseln für die Betriebe sind praktisch nicht relevant. Sie gehören abgeschafft. Schon allein wegen des bürokratischen Aufwandes.

dgb aktuell: Welche Vorschläge gibt es noch?
Martin Kunzmann: Fast alle anderen Bundesländer ermöglichen ein Ansparen der Bildungszeit über mindestens zwei Jahre. Das wollen wir auch in Baden-Württemberg. Auch ist die Seminardauer mit sechs vollen Zeitstunden am Tag ohne Pausen nicht praktikabel. Nimmt man An- und Abreise sowie Pausen dazu, müssen Beschäftigte bei zentralen eintägigen Veranstaltungen z.B. in Stuttgart mit einer Gesamtdauer von bis 13 Stunden rechnen. Wir fordern daher, den Zeitumfang auf sechs Unterrichtseinheiten zu je 45 Minuten zu reduzieren. Das ist auch der Standard in anderen Bundesländern. Weitere Verbesserungen betreffen die Anerkennung von Trägern und deren Zertifizierung sowie Antragsfristen. Wir fordern deshalb, das Gesetz im Sinne der Beschäftigten zu verbessern und die Anwendung zu vereinfachen.

Was bisher geschah:
Das Bildungszeitgesetz wurde von der grün-roten Landesregierung im Juli 2015 in Kraft gesetzt. Seitdem bieten der DGB, seine Gewerkschaften und deren Bildungseinrichtungen ein vielfältiges Angebot zur politischen und beruflichen Bildung sowie zur Ehrenamtsqualifizierung an.

Insgesamt wurden mehr als 700 Träger anerkannt, die bereits im ersten Jahr mehr als 5.600 Bildungszeitangebote mit mehr als 30.000 Seminarteilnehmenden gemacht haben. Allerdings fehlt eine Berichtspflicht der Träger. Deshalb ist nicht immer bekannt, wie viele dieser Teilnehmenden tatsächlich die Bildungszeit genutzt haben oder das Seminar in ihrer Freizeit besucht haben.

2017 nahmen 69 Prozent der Teilnehmenden Angebote der beruflichen Weiterbildung wahr, 21 Prozent Angebote zur politischen Bildung und zehn Prozent zur Ehrenamtsqualifizierung.

Nach dem Regierungswechsel 2016 haben Bündnis 90/DIE GRÜNEN und die CDU vereinbart, das Bildungszeitgesetz vorzeitig nach bereits zwei Jahren zu evaluieren. Anfang 2018 begann die Evaluation durch fbb-Nürnberg. Ein begleitender Beirat unter Beteiligung des DGB wurde vom Ministerium abgelehnt. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften konnten ihre Anforderungen an die Evaluierung lediglich bei einer einmalig tagenden Arbeitsgruppe auf Einladung des Ministeriums und in schriftlicher Form übermitteln.

Im März 2018 wurde der Fragebogen für die Teilnehmenden bekannt. Der DGB, die Gewerkschaften und das Bündnis Bildungszeit haben ihn wegen inhaltlicher und methodischer Mängel scharf kritisiert.

Im Rahmen einer Pressekonferenz wurden daher ein sofortiger Stopp der Befragung und die Überarbeitung des Fragebogens gefordert. Das hatte die Ministerin Hoffmeister-Kraut (CDU) grundsätzlich abgelehnt. Der DGB und das Bündnis Bildungszeit haben daher die Fragebögen nicht an Teilnehmende weitergeleitet.

Im zunächst vorgegebenen Zeitraum wurden im Ergebnis laut Landesregierung darum nur 233 ausgefüllte Fragebögen an fbb-Nürnberg übermittelt. Für eine wissenschaftlich gesicherte Datenbasis deutlich zu wenig.
Für die Befragung ausgewählter Betriebs- und Personalräte haben der DGB und die Gewerkschaften dennoch entsprechende Kontakte vermittelt. Gewerkschaften und Verbände im Bündnis Bildungszeit haben sich auch an der Trägerbefragung aktiv beteiligt.

Mit Spannung werden jetzt die Evaluationsergebnisse erwartet, die noch im ersten Quartal 2019 veröffentlicht werden sollen. Der DGB, seine Mitgliedsgewerkschaften und das Bündnis Bildungszeit haben das Wirtschaftsministerium aufgefordert, die Ergebnisse vorab intern vorzustellen, um eine fundierte Diskussion zu ermöglichen. Eine Antwort dazu steht noch aus.

Letzte Änderung: 18.02.2019