Martin Kunzmann:

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27.06.2018 Beschäftigte müssen den digitalen Wandel mitgestalten

Der Deutsche Gewerkschaftsbund richtet den Fokus auf die sich wandelnden Arbeitsbedingungen. Der DGB-Landesvorsitzende Baden-Württemberg Martin Kunzmann benennt die wichtigsten Punkte aus Gewerkschaftssicht.

Welchen Stellenwert hat das Thema "Digitaler Wandel" beim DGB?
Die Gewerkschaften gestalten bereits heute den digitalen Wandel mit. Der DGB misst dem Zukunftsthema zentrale Bedeutung zu, denn ob Chancen oder Risiken der Digitalisierung überwiegen, hängt davon ab, wie die unterschiedlichen Interessen von Beschäftigten und Arbeitgebern miteinander in Einklang gebracht werden. Werden alle technischen Möglichkeiten umgesetzt oder reflektieren wir gemeinsam deren Folgen für Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen, Standorte und die dort Beschäftigten? Uns ist klar, dass der digitale Wandel politisch und im Betrieb gestaltet werden muss. Betriebs- und Personalräte müssen auf Augenhöhe mit dem Management entscheiden können.

Welche Aspekte der Digitalisierung sind aus Gewerkschaftssicht wichtig?
Besonderes Augenmerk ist auf Folgendes zu richten: Wie gelingt es, gute Arbeitsplätze zu erhalten und in Zukunft zu schaffen, insbesondere für Beschäftigte niedriger und mittlerer Qualifikationsniveaus? Gute Arbeitsbedingungen gibt es nur mit Tarifverträgen, der Einhaltung von Schutzrechten und wirkungsvollen Mitbestimmungsrechten. Vor allem in der Debatte um die Flexibilisierung der Arbeitszeit zeigen sich unterschiedliche Interessen. Der DGB setzt sich dafür ein, dass Beschäftigte selbst Arbeitszeitmodelle wählen können, die zu ihrem Leben passen, und sie somit diejenigen sind, die über mehr Arbeitszeitsouveränität verfügen. Ähnliches gilt für die Überwachung von Beschäftigten durch die Mensch-Maschine-Interaktion. Dieses Feld muss dringend gestaltet werden, aus unserer Sicht durch ein Beschäftigtendatenschutzgesetz.

Gefährdet die Digitalisierung die Gesundheit der Arbeitnehmer? Welche Tätigkeiten sind am meisten betroffen?
Seit Jahren ist ein starker Anstieg psychischer Erkrankungen zu verzeichnen, weil die Arbeitsintensität vieler Beschäftigter ein gesundheitsgefährdendes Niveau erreicht oder überschritten hat. Die Auswertungen des DGB-Index Gute Arbeit zeigen, dass psychische Belastungen bei den schon heute hochgradig digitalisiert Arbeitenden noch häufiger auftreten, weil mehr Zeitdruck und eine höhere Arbeitsintensität damit einhergehen. Es kommt also darauf an, einerseits die bereits bestehenden Probleme zu lösen, zum Beispiel durch realistische Kalkulationen des Personalbedarfs, und andererseits durch neue Technologien die Arbeitsbedingungen humaner zu gestalten. Dann können digitale Technologien und Assistenzsysteme die Beschäftigten unterstützen.

Wie sind die Auswirkungen für ältere Arbeitnehmer?
Mit dem Alter steigt die Dauer der Arbeitsunfähigkeit an, die Regenerationszeit nimmt zu. Dies muss in der Arbeitsorganisation beim Einführen digitaler Technologien berücksichtigt werden. Die Wechselwirkung von Digitalisierung und demografischem Wandel kommt in der Diskussion häufig zu kurz. Die Generation der Babyboomer wird in den 2020er Jahren in Rente gehen und Jobs verlassen, die nicht mit demselben Profil wiederbesetzt werden. Die Anforderungen werden sich ändern. Für die heute 40-jährigen wird es wichtig sein, dass sie dafür ausreichend qualifiziert werden. Dazu muss es altersgerechte Angebote geben.

Worauf kommt es an, dass die Digitalisierung für die Arbeitnehmer verträglich ist?
Die Beschäftigten müssen mitgenommen werden, indem sie die konkrete Ausgestaltung der digitalen Transformation im eigenen Betrieb beeinflussen können. Dazu braucht es moderne Mitbestimmungsmöglichkeiten. Zudem werden Erhalt und Weiterentwicklung der eigenen beruflichen Kompetenzen immer wichtiger, auch über die Erstausbildung hinaus. Hierbei müssen Beschäftigte Unterstützung erfahren, sonst überwiegt die Sorge um die eigene Zukunft.

Gibt es Forderungen, die Sie im Blick auf die digitalisierte Arbeitswelt erheben?
Auf dem DGB-Bundeskongress im Mai war die Zukunft der Arbeit ein zentrales Thema. Die Forderungen reichen von einer Bildungsoffensive mit gesetzlichem Rechtsanspruch auf berufliche Weiterbildung und entsprechenden staatlichen Fördermöglichkeiten bis zu mehr Arbeitszeitsouveränität. Sie soll beispielsweise das Recht auf befristete Teilzeit, selbstbestimmte Arbeitszeit und -ort und die Abschaffung der Arbeit auf Abruf umfassen. Zudem soll das Beschäftigtendatenschutzgesetz vor digital gestützten Leistungs- und Verhaltenskontrollen schützen. Auch bei der Gestaltung des digitalen Wandels ist für uns entscheidend, dass Mitbestimmungsrechte eingehalten werden und die Tarifbindung wieder zunimmt.

Behandeln Sie das Thema gleich- oder nachrangig zu tarifpolitischen Zielen?
Gewerkschaften gestalten über Tarifpolitik gute Arbeitsbedingungen, gemeinsam mit den Arbeitgebern. Handlungsfelder wie Entlohnung, Gesundheit, Work-Life-Balance, Qualifizierung und die Humanisierung der Arbeitswelt werden vor dem Hintergrund des digitalen Wandels diskutiert und gestaltet. Dies wirkt sich dadurch unmittelbar auf die Tarifpolitik aus. Durch die Digitalisierung befassen sich Politik und Tarifpartner derzeit wieder mit der Frage nach der angemessenen Arbeitszeit. Im Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie wurde nun die verkürzte Vollzeit vereinbart, auch als Antwort auf die ständige Erreichbarkeit und den Wunsch nach Work-Life-Balance.

Gibt es schon Beispiele für Tarifabschlüsse mit dem Thema "Digitale Arbeitswelt"?
Ein Beispiel ist der Tarifvertrag Arbeit 4.0 zwischen EVG und Deutscher Bahn von 2016. Darin ist festgehalten, dass die Sozialpartner frühzeitig über zukünftige Tätigkeiten und Berufsbilder diskutieren werden, so dass der Veränderungsprozess noch positiv gestaltet werden kann. Geregelt wurde zudem der Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und dass Telearbeit verrichtet werden darf, aber nicht muss. Andere Tarifverträge greifen die digitale Herausforderung ebenfalls auf: In der Metall- und Elektroindustrie regeln Tarifverträge Ansprüche auf verkürzte Vollzeit oder Qualifizierungsteilzeit. Solche Regelungen zur Gestaltung der Qualifizierung finden sich auch in der Chemieindustrie oder im Versicherungsgewerbe. In letzterem gibt es bereits heute Arbeitsplatzverluste im Zuge der Digitalisierung.

Was empfehlen Sie Chefs von KMU?
Gerade für KMU ist eine genaue Analyse wichtig: Wie verändert sich der Markt und was erwarte ich für die Zukunft? Welche Ressourcen stehen mir zur Verfügung und wie setze ich sie ziel- und bedarfsgerecht ein? Man sollte nicht die Augen vor den Veränderungen verschließen und sich der Illusion hingeben, dass man nicht betroffen sei.

Und was raten Sie betroffenen Mitarbeitern? Was empfiehlt sich für Betriebsräte?
Den Beschäftigten muss klar sein, dass lebenslanges Mitwachsen mit Veränderungen zum digitalen Arbeitsmarkt gehört und man Qualifizierungsangebote einfordern und wahrnehmen muss. Diese Angebote müssen betriebsnah und zielgerichtet sein. Unabhängig davon können sich Beschäftigte im Rahmen der Bildungszeit weiterbilden.

Die Betriebsräte sollten ihre Mitbestimmungsrechte offensiv einfordern, zum Beispiel bei der Einführung von Technik. Auch hier muss die Politik handeln: Das Betriebsverfassungsgesetz muss an die digitalisierte Arbeitswelt angepasst werden, zum Beispiel indem Betriebsräte ein Initiativrecht bei Qualifizierungsmaßnahmen erhalten oder Soloselbstständige in crowd work in den Arbeitnehmerbegriff aufgenommen werden.

Welchen Stellenwert wird das Thema für die Gewerkschaften in Zukunft haben?
Die Digitalisierung wird die gesamte Gesellschaft nachhaltig verändern. Deshalb ist für uns klar, dass großer Handlungsbedarf besteht. Dabei geht es auch um folgende Fragen: Wie verändern Algorithmen, neue Geschäftsmodelle und Arbeitsformen unsere Gesellschaft? Gibt es ethische Grundsätze, deren Einhaltung manche Technologien nicht zulassen? Wer profitiert von den neuen Möglichkeiten und wie wird sichergestellt, dass die Gesellschaft an diesem Gewinn teilhaben kann?

Was liegt Ihnen bei der Zukunft der Arbeit besonders am Herzen?'
Um die Spaltung unserer Gesellschaft nicht weiter voranzutreiben, ist es wichtig, dass alle Menschen am Arbeitsmarkt der Zukunft gleichwertig teilhaben können. Deshalb darf die Debatte über die Zukunft von Wirtschaft und Arbeitsmarkt sich nicht auf die Hochqualifizierten beschränken, sondern muss auch Chancen für geringqualifizierte Beschäftigte in den Blick nehmen.

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Martin Kunzmann

Martin Kunzmann

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Letzte Änderung: 24.06.2018