Langzeiteffekte duch ERA in BaWü

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19.02.2018 Die Study beschreibt die Langzeiteffekte des reformierten Entgeltrahmenabkommens (ERA) in der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württembergs.

In Baden-Württemberg waren die Eingriffe von ERA besonders tief, die Konflikte heftiger als anderswo und die Veränderungen weitreichender. Welche Folgen hat dies für das tarifliche Regelungswerk, die Umgangsweisen der Betriebsparteien, die Wirkungen und die Bewertungen durch die Tarif- und Betriebsparteien?

Vor etwas mehr als zehn Jahren begann die Einführung der reformierten Entgeltrahmenabkommen (ERA) in der Metall- und Elektroindustri(M+E-Industrie. Mit ihnen wurde die Entlohnung auf eine neue Grundlage gestellt. Die bis dato "klassische" Unterscheidung von Arbeitern und Angestellten wurde aufgehoben, Ungleichbehandlungen zwischen und innerhalb beider Statusgruppen in der Bewertung von Arbeit, Leistung und Belastungen beseitigt, gewerbliche Facharbeit aufgewertet und alle Arbeitsaufgaben auf Basis eines neu entwickelten Systems (Stufenwertzahlverfahren) neu bewertet.

Parallel wurde das Methodenarsenal zur Ermittlung des Leistungsentgelts erweitert, die bisher zwischen Leistungslöhnern, Zeitlöhnern und Angestellten unterschiedliche Höhe angeglichen sowie die Belastungsvergütung in eine von der Entgeltgruppe unabhängige Zulage verwandelt.

Nachfolgend werden die Langzeiteffekte dieser Tarifreform in der M+EIndustrie
Baden-Württembergs beschrieben, in der die Eingriffe besonders tief, die Konflikte heftiger als anderswo und die Veränderungen weitreichender waren. Dargestellt werden die Veränderungen im tariflichen Regelungswerk, die Umgangsweisen der Betriebsparteien mit ihnen, die Wirkungen sowie die Bewertungen durch die Tarif- und Betriebsparteien.

Im Ergebnis zeigt sich: Der die Einführungsphase vielfach prägende Pulverdampf ist verflogen, es ist Alltag eingekehrt. Dieser ist zwar nicht konfliktfrei, jedoch relativ konfliktarm und die Konflikte werden in den hierfür vorgesehenen Bahnen bearbeitet und gelöst. Das neu eingeführte System der Arbeitsbewertung funktioniert und ist gut akzeptiert. Insbesondere wird die hierdurch hergestellte Transparenz und Nachvollziehbarkeit geschätzt. In die Vor-ERA-Welt der Arbeitsbewertung will niemand zurück. Die "alte Welt" ist auch nicht mehr der zentrale Bezugspunkt der Bewertung. ERA prägt die betriebliche Entgeltdifferenzierung und erfüllt nach wie vor die ihm zugedachte Ordnungsfunktion.

Die Betriebsparteien sind auch sichtlich darum bemüht, diese Ordnungsfunktion nicht zu gefährden. Abweichungen von den Tarifvorgaben gibt es an der einen oder anderen Stelle, sie bestimmen jedoch nicht das Bild. Eine erneute schleichende innere Erosion des Tarifvertrags lässt sich bisher nicht feststellen.

Die erweiterten Möglichkeiten im Leistungsentgelt werden bislang jedoch kaum genutzt. Eine breite Welle der Neugestaltung gab es auch im Nachgang zur ERA Einführung nicht. Es gibt wenig Neues, dafür vielfach Ernüchterung, gepaart mit Unsicherheit, wohin die Reise gehen wird.

Zielvereinbarungen als Methode der Leistungsbewertung spielen im Tarifbereich nur in Kombination mit der Leistungsbeurteilung eine gewisse Rolle, so wie insgesamt Methodenkombinationen Zuwächse verzeichnen können. Die Methode Leistungsbeurteilung bleibt jedoch dominant, wohingegen der von der IG Metall favorisierte Kennzahlenvergleich weiter auf dem Rückzug ist.

Eine Differenzierung im Leistungsentgelt zwischen den Beschäftigten findet kaum statt und auch zwischen den Jahren ist die Volatilität gering. Leistungsentgelte sind de facto weitgehend Fixentgelte.

Die Funktion, zu einer leistungsgerechten Bezahlung beizutragen, erfüllen die Systeme meist ebenso wenig wie die ihnen zugeschriebene Motivations- und Anreizfunktion. Als Instrumente der Leistungsbegrenzung sind sie bei den meisten Betriebsräten offensichtlich abgeschrieben. Ein auf die Leistungsentgeltgestaltung ausgerichtetes, ausgeprägtes Änderungsinteresse gibt es gleichwohl nicht, wohl aber eine latenten Unzufriedenheit.

In der Belastungsvergütung wurde der vollzogene Systemwechsel zu einer von der Entgeltgruppe unabhängigen Belastungszulage gut angenommen. Das neue System wird gelebt, es ist akzeptiert und es zeigt positive Effekte auch hinsichtlich des Abbaus von Belastungen.

Methodisch basieren unsere Befunde auf einer im Spätherbst 2015 durchgeführten standardisierten Parallelbefragung von Betriebsräten und Personalverantwortlichen aller tarifgebundenen Betriebe der M+E-Industrie in Baden-Württemberg, einer Sekundärauswertung der im Spätjahr 2007 durchgeführten Befragung von Betriebsräten zu ihren Erfahrungen im ERA Einführungsprozess sowie ausgewählten Ergebnissen der jährlich durchgeführten Verdiensterhebung von Südwestmetall. Zudem wurden qualitative Interviews mit Personalverantwortlichen und Betriebsräten in Betrieben durchgeführt, ergänzt um Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern der Tarifparteien. Bahnmüller, Reinhard / Hoppe, Markus / Mugler, Walter / Salm, Rainer / Schwarz-Kocher, Martin

Langzeiteffekte in Baden-Württemberg.
Reihe: Study der Hans-Böckler-Stiftung, Nr. 372.
Düsseldorf: 2017, ISBN: 978-3-86593-282-2. 186 Seiten

Die Autoren
Reinhard Bahnmüller, promovierter Soziologe, arbeitsorientierter Forscher
und langjähriger Geschäftsführer des Tübinger Forschungsinstituts für Arbeit,
Technik und Kultur (FATK).

Markus Hoppe, diplomierter Soziologe, arbeitsorientierter Forscher am Tübinger
Forschungsinstitut für Arbeit, Technik und Kultur (FATK), derzeit
wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Input Consulting Stuttgart.

Walter Mugler, Mechaniker, ehemaliger Betriebsrat und Gewerkschaftssekretär,
arbeitsorientierter Forscher und Berater im IMU Institut Stuttgart.
Rainer Salm, Elektriker und Physiker, ehemaliger Betriebsrat und Gewerkschaftssekretär im Ruhestand, Projektmitarbeiter im IMU Institut Stuttgart.

Martin Schwarz-Kocher, Diplom-Ingenieur (FH) und promovierter Soziologe,
arbeitsorientierter Forscher und Berater beim IMU Institut Stuttgart.

Anhang:

STUDY der Hans Böckler Stiftung

STUDY der Hans Böckler Stiftung

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Letzte Änderung: 16.02.2018