Rechtliche Hinweise zum Kindergeld

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21.11.2011 Neuregelung der Einkommensberücksichtigung von über 18-jährigen Kindern ab dem Kalenderjahr 2012

I. Sachverhalt:
Die Kindergeldberechtigung für über 18-jährige Kinder hängt bis 31.12.2011 auch davon ab, dass das Einkommen des Kindes den Grenzbetrag nicht überschreitet (Grenzbetrag 2011 = 8.004 Euro/jährlich).
Durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011, Art.1, Änderung von § 32 Abs. 4 EStG (Bundesgesetzblatt I, 4.11.2011, Seite 2131 ff) wird ab Januar 2012 die Ermittlung des anrechenbaren Einkommens des über 18-jährigen Kindes wesentlich vereinfacht, bzw. fällt ganz weg.
II. Die Rechtsfolgen der gesetzlichen Neuregelung ab 2012:
Ab 2012 werden Kinder, die das 18. Lebensjahr vollendet haben ohne Einkommensbegrenzung berücksichtigt, wenn sie
1. das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht in einem Beschäfti- gungsverhältnis stehen und bei einer Agentur für Arbeit im Inland Arbeit suchend gemeldet sind,
2. das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und a) für einen Beruf ausgebildet werden, b) in einer höchstens viermonatigen Übergangszeit zwischen zwei Aus- bildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und Wehr-, Zivil- oder Entwicklungshelfertätigkeit stehen (§ 32 Abs. 4 Nr. 2b EStG), c) eine Berufsausbildung nicht beginnen oder fortsetzen können, d) ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr bzw. weitere anerkann- te Dienste ableisten (§ 32 Abs. 4 Nr. 2d EStG),
3. wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande sind, sich selbst zu unterhalten; Voraussetzung ist, dass die Behinde- rung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.
4. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung und eines Erststudi- ums wird ein Kind in den Fällen der Nr. 2 nur berücksichtigt, wenn das Kind keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne der §§ 8 und 8a des SGB IV sind unschädlich (§ 32 Abs. 4 Sät- ze 1 und 2 EStG, ab 1.1.2012 geltende Fassung).
III. Erläuterung:
1. Allgemein
Mit der Neuregelung des § 32 Abs. 4 EStG ersetzen die neuen Sätze 2 und 3 (siehe oben unter II., Nr. 4.) ab Januar 2012 die bisherigen Sätze 2-10, die die Einkommensanrechnung des Kindeseinkommens bis Ende 2011 regeln.
Deshalb fällt ab 2012 die Einkommensanrechnung für die Fallgestaltungen unter Ziffer 2 vor Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung weg.
2. Berufsausbildung
Der Gesetzgeber geht davon aus, dass eine Berufsausbildung vorliegt, wenn durch eine berufliche Ausbildungsmaßnahme die notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse erworben werden, die zur Aufnahme eines Berufs befähigen.
Voraussetzung ist, dass der Beruf durch eine Ausbildung im Rahmen eines öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsganges erlernt wird und der Ausbildungsgang durch eine Prüfung abgeschlossen wird.
Der Besuch einer allgemeinbildenden Schule gilt folglich nicht bereits als erstmalige Berufsausbildung. (BT Drs.17/5125).
3. Erstmaliger Ausbildungsabschluss
Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums besteht die widerlegbare Vermutung, dass das Kind in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten.
Diese Vermutung gilt als widerlegt, wenn das Kind nachweist, dass es sich in einer weiteren Berufsausbildung befindet und tatsächlich keiner (schädlichen) Erwerbstätigkeit nachgeht.
Eine Erwerbstätigkeit ist dann unschädlich, wenn die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 20 Stunden beträgt.
Ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis sind ebenfalls unschädlich für den Anspruch auf Kindergeld im Rahmen einer Zweitausbildung.
Hinweis:
Bei den unter 21-jährigen Arbeitsuchenden ohne Beschäftigungsverhältnis (§ 32 Abs. 4 Ziffer 1 EStG) ist eine bis 20-stündige Arbeitszeit schädlich und führt zum Verlust des Anspruchs auf Kindergeld.
Eine geringfügige Beschäftigung im Sinne des § 8 SGB IV (400 Euro-Job) dürfte dagegen weiterhin unschädlich sein. Dies besagt die derzeitige Dienstanweisung (Herausgeber: Bundeszentralamt für Steuern) unter DA 63.3.1.zum Familienleistungsausgleich. Da sich hierzu keine gesetzliche Änderung ergeben hat, ist davon aufzugehen, dass dies auch 2012 weiter gilt.
Ein Kind, das in einem anderen EU- bzw. EWR-Staat oder in der Schweiz bei der staatlichen Arbeitsvermittlung Arbeit suchend gemeldet ist, kann ebenfalls berücksichtigt werden.
IV. Kindergeld und andere Sozial- bzw. Sozialversicherungsleistungen:
Es ist erfreulich, dass künftig ab dem Kalenderjahr 2012 die aufwändige Einkommensberechnung im Rahmen einer Erstausbildung unterbleiben kann.
Es ist darauf hinzuweisen, dass andere Leistungen, wie zum Beispiel BAföG, Halbwaisen- oder Waisenrenten, Stipendien der Begabtenförderungswerke aber auch die kostenfreie Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung, nach wie vor davon abhängen bzw. abhängen können, dass die für den jeweils dort maßgeblichen Anspruch geltenden Einkommensgrenzen nicht überschritten werden.
Wir empfehlen, im Einzelfall bei den jeweiligen Leistungsträgern eine individuelle Beratung einzuholen. Diese Einkommensgrenzen unterliegen gegebenenfalls Anpassungen, so dass eine zeitnahe Auskunft erforderlich ist.
V. Tipps für die Praxis:
Die Kindergeldberechtigung besteht über das 25. Lebensjahr hinaus für die Zeit, für die wegen geleisteten Grundwehr- oder Zivildienstes,
einer freiwilligen Verpflichtung zum Wehrdienst für nicht mehr als drei Jahre oder
wegen einer befreienden Tätigkeit als Entwicklungshelfer
die Ausbildung über das 25. Lebensjahr hinaus angedauert hat. Höchstens für die Dauer des inländischen gesetzlichen Grundwehrdienstes.
Bei Ableistung des Grundwehr- oder Zivildienstes in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder einem Staat, auf den das Abkommen über den europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, die Dauer dieses Dienstes (§ 32 Abs. 5 EStG).
Besteht ein Auszubildender die Abschlussprüfung nicht, so ist er weiter als Kind in Berufsausbildung zu berücksichtigen, wenn sich das Ausbildungsverhältnis auf sein Verlangen bis zur nächstmöglichen Wiederholungsprüfung verlängert, er zur Prüfung erneut zugelassen wird und den erfolgreichen Prüfungsabschluss weiterhin ernsthaft verfolgt. Wird das Ausbildungsverhältnis lediglich mündlich verlängert, ist regelmäßig vom Fortbestehen des Ausbildungsverhältnisses auszugehen, weil die Wirksamkeit eines Berufsausbildungsvertrages nicht davon abhängig ist, dass der wesentliche Inhalt schriftlich niedergelegt ist. Der Vertrag kann formlos, also auch mündlich, abgeschlossen werden (BAG vom 22.02.1972, GAGE 24, 133).
Wird das Ausbildungsverhältnis nicht verlängert und besucht das Kind nicht weiter die Berufsschule, so ist es zu berücksichtigen, wenn es sich ernsthaft auf die nächstmögliche Wiederholungsprüfung vorbereitet. Die ernsthafte Vorbereitung ist durch geeignete Nachweise zu belegen (z. B. die Anmeldung zur nächstmöglichen Wiederholungsprüfung). Nimmt das Kind an der erstmaligen Wiederholungsprüfung teil und besteht diese, ist in der Regel zu unterstellen, dass sich das Kind ernsthaft und nachhaltig auf diese Prüfung vorbereitet hat (BFH vom 02.04.2009 - BStBl 2010 II S. 298).
Endet das Berufsausbildungsverhältnis durch Insolvenz des Ausbildungsbetriebes, ist zu prüfen, ob die sich daran anschließenden Maßnahmen noch der Berufsausbildung zugeordnet werden können. Lassen die zuständigen Kammern das Kind ohne Nachweis eines anschließenden Ausbildungsverhältnisses zur Prüfung zu und besucht es bis zur Abschlussprüfung die Berufsschule, so kann weiterhin vom Vorliegen einer Berufsausbildung ausgegangen werden. Trifft dies nicht zu, kommt eine Berücksichtigung nur unter den Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 Buchst. c EStG in Betracht.

Letzte Änderung: 29.11.2011